In diesem Beitrag gehe ich auf eine weitere „Tugend der Samurai“ ein. Es geht dieses Mal um den „Geist der Gelassenheit“. In dem vorhergehenden Blog hatte ich über den „Geist der Konsequenz“ unter der Rubrik „Führung“ geschrieben.
Ich habe vor einigen Jahren an einem Seminar teilgenommen, welches sich mit dem Thema „Führen wie ein Samurai“ befasste. Inhaltlich ging es weniger um das traditionelle japanische Kämpfen als vielmehr um die 7 Tugenden der Samurai, also die innere Haltung, die einen erfolgreichen „Krieger“ und Führenden – auch in der heutigen Zeit – ausmacht.
Paradoxon
„Bleib‘ doch gelassen“, „Keep cool“, „Reg‘ Dich nicht auf“ – wie oft hören wir diese mahnenden und manchmal vielleicht auch gut gemeinten Worte? Ich bin froh gewesen, als ich vor einigen Jahren einen Auszug aus einem Interview mit dem Dalai Lama las, in dem dieser zugab, dass es auch für ihn Dinge gibt, bei denen er ungeduldig wird. Das fand ich sehr beruhigend, wünsche ich mir selbst doch oft genug mehr eigene Gelassenheit.
Gelassenheit zu fordern, erscheint mir in der heutigen schnelllebigen Zeit fast ein Paradoxon zu sein. Permanent versuchen uns Andere zu überzeugen, dass in der Schnelligkeit der eigentliche (wirtschaftliche) Erfolg liegt. Den Fokus rein auf Schnelligkeit zu legen, halte ich persönlich jedoch aus verschiedenen Gründen für eine deutlich begrenzte und wenig nachhaltige Sicht. Manchmal kann es durchaus Sinn machen, innezuhalten und sich Zeit für einen Blick aus der Vogelperspektive zu nehmen.
Auf Herausforderungen einstellen
Viele Situationen können mich herausfordern, seien es familiäre Themen, berufliche Differenzen oder beispielsweise übergreifende globale Fragen. Gelassen zu bleiben, gibt mir die Möglichkeit, mir Zeit zu nehmen und nicht immer sofort und unmittelbar reagieren zu müssen. Basis dafür ist aus meiner Sicht, achtsam zu sein – eine der oben genannten Tugenden der Samurai. In meinem Blog „Persönlichkeit – Ausbauen der eigenen Fähigkeiten des Wahrnehmens, der Bewusstheit, des Verhaltens und der Fähigkeit, Reflexion zu üben“ habe ich das bereits intensiver beleuchtet. Erst wenn ich achtsam bin, kann ich wahrnehmen und mir einer Situation bewusst werden, um darauf mein Verhalten einzustellen; und mein Verhalten kann dann aus der Gelassenheit heraus erfolgen.
Gelassen sein heißt nicht, gleichgültig zu sein
Der „Geist der Gelassenheit“ entspricht dem Prinzip des ruhenden Geistes, der Unaufgeregtheit. Dabei bedeutet gelassen zu bleiben nicht etwa, gleichgültig zu sein. Ich nehme durch meine Präsenz im Augenblick wahr, was kommt, prüfe, ob es etwas mit mir zu tun hat oder nicht, und lasse es weiterziehen. Wenn es mich selbst betrifft, dann entscheide ich mich bewusst zum Handeln. Auch ich werde immer wieder mit Situationen „konfrontiert“, die bei mir eine impulsive Reaktion auslösen; hier hilft mir, mich grundsätzlich und im Besonderen auf derartige Situationen einzustellen.
Auf herausfordernde Situationen vorbereiten
Welche Situationen können auf mich zukommen? Welche Konstellation an beteiligten Personen kann mich erwarten? In welchem Umfeld können sie entstehen? Wie können mögliche Reaktionen der verschiedenen beteiligten Personen – und in einem bestimmten Situationsverlauf – aussehen?
So kann ich mich vorher mit den denkbaren Inhalten auseinandersetzen, meine persönliche Haltung definieren und mir daraufhin geeignete Antworten sowohl gegenüber Sachargumenten als auch beispielsweise gegenüber persönlichen Angriffen überlegen und diese einüben.
Diese innere Auseinandersetzung hilft mir, mich vorzubereiten und wesentliche Variationen im Vorhinein zu durchleben. In diesem Zusammenhang kann ich mir zusätzlich überlegen, was wohl der für mich denkbar schlechteste Fall sein könnte, der real eintreten kann; was kann das sein, mit welcher Wahrscheinlichkeit rechne ich, was würde im schlimmsten Fall passieren können und wie könnte ich geeignet reagieren bzw. mich selbst schützen? In vielen Situationen hat mir persönlich das sehr geholfen, auch wenn ich selbst weiß, dass ich noch weit entfernt von einer vollständigen Gelassenheit bin.
Jeder ist sein eigener Zen-Meister
„Jeder ist sein eigener Zen-Meister“ – eine weitere buddhistische Weisheit, die aus meiner Sicht viel Wahres in sich trägt. Nur ich selbst kann entscheiden, ob ich mich überhaupt und zu welchem Zeitpunkt verändern möchte. Das entspricht auch dem systemischen bzw. humanistischen Gedanken, dass jeder Mensch seine Probleme selber lösen kann, darf und soll und jeden Tag entscheiden kann, sich anders zu verhalten. Ich kann mich also jeden Tag entscheiden, ein wenig gelassener zu werden.
Schön finde ich das Bild, dass wir „Freunde und Lehrer“ haben – nicht „Feinde“. Hier möchte ich allerdings meine Interpretation der beiden Begriffe gleich mit anfügen. „Freunde“ sind für mich Menschen, die mich respektvoll und wertschätzend behandeln und in allen Situationen zu mir stehen. „Lehrer“ sehe ich in diesem Fall nicht als Menschen an, die es „besser wissen und belehren“, sondern mit denen ich eine Erfahrung sammle, weil sie mich auf Themen aufmerksam machen und zu einer Auseinandersetzung damit herausfordern. So gewinnen manche Situationen – sicherlich nicht alle, das wäre mir eine allzu idealistische Sichtweise – einen eher „sportlich“ herausfordernden Charakter. Damit habe ich die Wahl, die Situation, wie sie ist, anzunehmen, sie zu verändern, wenn es möglich ist, oder für mich einen neuen Weg zu suchen.
Aktiv handeln
Wichtig erscheint mir, dass ich mich für meine (selbst empfundene!) „unzureichende“ Gelassenheit nicht selber verurteile. In diesem Fall ist es besser, meine Emotionen und meine Gefühle dabei wahrzunehmen und diese Energie in eine für mich geeignete positive Richtung zu lenken. So kann ich Beides verbinden: Die erforderliche Energie aus der Situation heraus gewinnen und in Gelassenheit die nächsten Schritte planen und umsetzen.
Wir sind Teil des Systems
Und noch ein Gedanke über die anfangs erwähnten mahnenden und manchmal vielleicht auch gut gemeinten Worte. So kann beispielsweise ein Beteiligter gereizt sein, während dessen ein anderer gelassen bleibt – zum vermeintlich identischen Tatbestand, einfach, weil eine unterschiedliche Betroffenheit vorliegt und die beiden Personen die Situation damit unterschiedlich bewerten. Und es kann ebenfalls vorkommen, dass ein Beteiligter seine eigene Ungeduld auf einen anderen Beteiligten projiziert, ohne dass sich dieser tatsächlich ungeduldig verhält.
Kommunikation und Interaktion geschehen immer im Kontext. Alle Beteiligten sind Teil des entsprechenden „Systems“. Sie haben sicherlich unterschiedliche Möglichkeiten, die Situation zu verändern, dennoch beeinflussen sie sich stets in ihrem Verhalten untereinander, bewusst und unbewusst.
Ich freue mich über Ihr Feedback, gern persönlich,
herzlichst
Ihr Christian Nourney
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