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„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“
Nun, das sind für mich gleich zwei Menschen, natürlich meine Frau und meine Tochter! Ich vermute allerdings, für Sie wird das ein ganz anderer Mensch sein.

Fokus
Interessant ist, wen wir selbst beim Blick in einen realen Spiegel sehen: Wer ist der Mensch, den ich im Spiegel sehe? Rein äußerlich werde ich mich selbst erkennen, doch was genau sehe ich an mir bzw. in mir? Worauf liegt mein Fokus, vielleicht auf einem äußerlich hervortretenden Merkmal oder auf einer vermeintlichen Unzulänglichkeit? Sehe ich mein Spiegelbild mit Wohlwollen, mit Ablehnung oder emotionslos an?

Was sehe ich im „Spiegel“?
Jeder von uns sieht in einem Spiegel ein anderes Bild, selbst wenn wir uns zu zweit nebeneinander vor denselben Spiegel stellen. Das ist sicherlich wenig überraschend, legen wir unseren Fokus doch auf unterschiedliche Schwerpunkte. Rein physikalisch kommt hinzu, dass wir nebeneinander stehend auch zwei unterschiedliche Blickwinkel haben und dadurch das, was außer den beiden Menschen im Spiegel zu sehen ist, auch anders sehen und wahrnehmen. Wenn ich neben einem anderen Menschen stehe, kann ich mehr von dem sehen, was sich hinter dem Rücken des Anderen verbirgt, als der betreffende Mensch selbst – und natürlich umgekehrt genauso.
Schon dieses „einfache“ Bild, dass zwei Menschen gleichzeitig nebeneinander stehend in denselben Spiegel schauen, lässt mich erkennen, wie schwierig es ist zu sagen, was tatsächlich in einem Spiegel zu sehen ist. Jeder Mensch entscheidet für sich selbst, was er (nicht) sieht und wahrnimmt oder ausblendet, und besitzt zudem einen „blinden Fleck“, den er nicht kennt und sehen kann, Andere jedoch schon.

Formen des Spiegelns
Spiegeln beinhaltet verschiedene Formen. In einer gespiegelten Situation kann ich etwas sehen, was ich als gleich oder als anders empfinde – und Beides kann für mich angenehm, provozierend oder herausfordernd wirken. Wenn Menschen untereinander kommunizieren, tun sie das in einem bestimmten Moment, zu einer bestimmten Zeit innerhalb bestimmter Umstände. Die Einflüsse in diesem „System“ stellen sowohl Ursache als auch Wirkung dar, und das heißt: Das jeweilige Verhalten der Menschen ist sowohl Aktion als auch Reaktion, bei dem der Auslöser meist nicht mehr (eindeutig) bestimmt werden kann.

„Du hast selbst Schuld!“
Möglicherweise ist Ihnen die folgende oder ähnliche Situation schon begegnet: Sie kommunizieren mit einem oder mehreren Menschen, fühlen sich inhaltlich missverstanden, und es entsteht Streit. Sie sprechen anschließend mit einem anderen Menschen darüber, der Ihnen sagt: „Du hast selbst Schuld, dass es so gekommen ist!“ und „So, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus!“ oder auch „Die Anderen haben Dir lediglich gespiegelt, wie Du Dich verhalten hast“. Und vielleicht haben Sie sich dabei nicht wohlgefühlt oder sogar ein schlechtes Gewissen bekommen?

Was sagt mir ein solcher Hinweis? Meine Erfahrung ist, dass damit zumeist gemeint ist, dass ich allein für den Ausgang der Streitsituation verantwortlich sei, weil ich mich provoziert gefühlt habe. Da ich mich also scheinbar „falsch“ verhalten habe, kam es zu dem besagten Streit.
Doch, Moment: Wer hat wem einen „Spiegel“ vorgehalten, die Anderen mir, ich den Anderen oder wir uns gegenseitig? Was ist passiert, wie hat sich das Gespräch entwickelt, wer war beteiligt?

Lernen aus der Situation
„Spiegeln“ heißt für mich zunächst lediglich, dass etwas passiert ist, im Raum steht und geklärt werden will – vollkommen wertfrei und absichtslos. Eine derartige Situation ermöglicht es mir im Nachgang, mich selbst und die begleitenden Umstände zu betrachten. Das Gespiegelte ist also ein Bild bzw. die Momentaufnahme einer Ist-Situation. Und wie zu Anfang dargestellt, interpretieren wir jeder für uns selbst das (Spiegel-) Bild anders, und zwar individuell auf Basis unseres Wissens, unserer Erfahrungen und unserer Denkmuster/ Glaubenssätze.
Ich kann den Hinweis von Anderen – im Sinne von Spiegeln – bewusst wahrnehmen und dann prüfen, was mein Anteil in der betreffenden Situation war und was ich ggf. in der Zukunft anders machen kann.
Eine alleinige „Schuld“ muss ich mir jedoch nicht in jedem Falle zuweisen lassen. Es gibt sogar manchmal Situationen, bei denen meine bloße Anwesenheit bei einem anderen Menschen eine emotional heftige (Re-) Aktion auslöst – was auch immer in diesem Menschen vorgehen mag oder welches Bild von mir bei diesem Menschen gerade „ankommt“.

Blick nach vorn
Eine letzte Anmerkung: Wenn ich in einen Spiegel schaue, dann sehe ich „nach hinten“, auf das, „was hinter mir liegt“. Erst wenn ich den Blick löse, das Vergangene bearbeitet und integriert habe, habe ich den Blick wieder frei nach vorn.
„Spiegeln“ umfasst weitaus mehr, als es zunächst den Anschein hat – welche Erfahrungen haben Sie persönlich damit gemacht?

Ich freue mich über Ihr Feedback, gern persönlich,
herzlichst
Ihr Christian Nourney

 

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